Im Gemeinderat stand die Debatte zum Doppel-Haushalt 2022/23 an. „Es ist ein ehrgeiziger Plan, der uns vorliegt. Ehrgeizig in seiner ganzen Zwiespältigkeit“, so Annette Silberhorn-Hemminger, Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler. Zielstrebig und ambitioniert in vielen Projekten. Aber auch mit ehrgeizigen, womöglich zu hochfliegenden Konsolidierungszielen, deren Umsetzung noch nicht greifbar ist.

Die Aufgabe besteht weiterhin darin, das drohende finanzielle Desaster der Stadt Esslingen abzuwenden, zudem die Pflichtaufgaben einer Verwaltung zu gewährleisten und die Rahmenbedingungen für gesellschaftliches Miteinander in Vereinen, im Sport, in der Kultur zu erhalten. Und dabei die lange Liste an aktuellen, dringenden Themen / Zukunftsthemen nicht aus den Augen zu verlieren. Auf diesen dicken Katalog an Aufgaben und Herausforderungen liefert der Haushaltsplan 2022/23 der Stadt Esslingen Antworten.

Doch bewegt sich der Haushalt auf einem schmalen und risikobehafteten Grat. Nur durch eine Wiederbesetzungssperre können die Einsparungen für 2022/23 erreicht werden. „Für uns Freie Wähler ist dies nur ein wackeliger Rettungsring, kein Rettungsanker und keine Dauerlösung“, gibt Silberhorn-Hemminger zu bedenken.

Für Unvorhergesehenes und für weitere Baukostensteigerungen ist im Haushalt kein Spielraum vorhanden. Zudem sind ab dem Jahr 2024 weitere Einsparungen in Millionenhöhe erforderlich. Diese stehen bisher nur auf dem Papier, konkrete Maßnahmen sind noch nicht in Sicht.

Wie schafft man es, auf diesem schmalen Grat nicht abzustürzen?

„Eine Blaupause gibt es nicht, jedoch Gelingens-Bedingungen“, formuliert Silberhorn-Hemminger. Dies sind für die Freien Wähler: (1) Prioritäten setzen, (2) effizientes Handeln, (3) bei großen Themen nicht im Klein-Klein verlieren, (4) die Aufgabenkritik fokussiert angehen, (5) keine weiteren Schubladen- und Logo-Konzepte, denn für Aktionismus und PR-Maßnahmen ohne Substanz haben wir kein Geld.

#######

Gemeinderat 22.11.2021, 2. Lesung Doppel-Haushalt 2022/2023
Stellungnahme Dr. Annette Silberhorn-Hemminger

Es gilt das gesprochene Wort.
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Klopfer,
sehr geehrte Herren Bürgermeister,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
meine sehr verehrten Damen und Herren

„Mainz, wie es singt und lacht“.

In Zeiten wie diesen wäre man gerne Gemeinderat in Mainz. Nun, die Mainzer Kolleginnen und Kollegen stehen vor einer ganz neuen Herausforderung. Statt einem Minus von 36 Mio. Euro zum Jahresende winkt dem Stadtsäckel in Mainz nun ein Überschuss von über 1,09 Mrd. Euro. Biontech macht´s möglich.
Wir würden uns ja schon mit der Nachkommazahl von 0,09 Mrd. Euro begnügen, immerhin noch 90 Mio. Euro.

Ich glaube wir sind uns einig – eine Haushalts-Rede mit einem Vorjahresüberschuss von 1 Mrd. Euro im Rücken würden wir alle gerne einmal halten.

Nun befinden wir uns aber nicht am Rhein, sondern am Neckar.

Unsere Aufgabe heißt nicht, 1 Mrd. Euro sinnvoll und nachhaltig anzulegen und auszugeben.

Unsere Aufgabe besteht darin, das drohende finanzielle Desaster der Stadt Esslingen abzuwenden. Die auseinanderklaffende Lücke zwischen den ungebremst steigenden Ausgaben und den seit langer Zeit abgehängten Einnahmen zusammenzuführen. Dabei vor allem den Blick auf die Ausgaben richten.

Nachfolgende Generationen brauchen eine Umwelt, in der sie gesund leben können. Dazu gehört für uns Freie Wähler auch, ihnen nicht den Schuldenberg zu hinterlassen, für den unsere Generation, die momentan in der Verantwortung steht, verantwortlich ist. Eine gesunde Umwelt schließt für uns eine finanzielle Gestaltungsfreiheit mit ein.

(Was für Aufgaben / Zukunftsprojekte sind im HH enthalten?)

Unsere Aufgabe besteht zudem darin, die Pflichtaufgaben einer Verwaltung zu gewährleisten, die Rahmenbedingungen für gesellschaftliches Miteinander in Vereinen, im Sport, in der Kultur zu erhalten. Und dabei die lange Liste an aktuellen, dringenden Themen / Zukunftsthemen nicht aus den Augen zu verlieren.

Themen wie 
Klimaschutz und Klimaanpassung, Nachhaltigkeit, beim Klima ebenso wie bei den städtischen Finanzen
Gelingende Transformation des Wirtschaftsstandortes; 
denn ein starker Wirtschaftsstandort trägt u.a. über die Gewerbesteuer und die anteilige Einkommenssteuer zur Finanzierung des städtischen Haushaltes bei.
Bedarf an Wohnraum, für unterschiedliche Zielgruppen.
Sicherung der Qualität unserer gut aufgestellten Bildungslandschaft. 
Bildung ist ein bedeutender Chancengeber für die Zukunft unserer Kinder und Jugendlichen.
Eine funktionierende Idee von Mobilität, um mobil sein zu können. Sowohl innerhalb unserer Stadt als auch in der Region.
Esslingen als Einkaufsstandort wieder vitalisieren.
Öffentlicher Raum als wertvollen Raum für Begegnungen, für städtisches Leben, für Aktivitäten aufwerten und nutzbar machen.

Zusammengefasst: Die Lebensqualität in unserer Stadt zu erhalten, aber auch zu verbessern.

Dabei handlungsfähig zu bleiben. Heute, morgen und darüber hinaus.

Auf diesen Katalog an Aufgaben und Herausforderungen gibt der Haushaltsplan 2022/23 der Stadt Esslingen Antworten.

Es ist ein ehrgeiziger Plan, der uns vorliegt. Ehrgeizig in seiner ganzen Ambivalenz.
Zielstrebig und ambitioniert in vielen Projekten.
Aber auch ehrgeizige, hochfliegende Konsolidierungsziele, deren Realisierung noch nicht greifbar ist. Da sind wir alle noch etwas ratlos. 
Da trifft es sich gut, dass unser neuer OB selten rat(d)los unterwegs ist.

Vier ehrgeizige, wichtige, auch kostenintensive Projekte möchte ich hervorheben.

Projekt 1, die Esslinger Schullandschaft
Esslingen als Schulstandort wird weiter gestärkt. So stehen an 3 Schulstandorten Neubauten an: Grundschule Zell, Zollberg Realschule, Neue Realschule Pliensauvorstadt. 
Hinzu kommen die umfangreichen Baumaßnahmen an der Gemeinschaftsschule Innenstadt.
Alles in allem, gut investiertes Geld, wie wir Freie Wähler meinen.
Der lange Weg der Neustrukturierung der Schullandschaft, der harte Entscheidungen forderte – denken Sie an die Schließung der Hauptschulen in den Stadtteilen und die Fusion von Schulen – hat sich aber bewährt. Die Schullandschaft ist für die Zukunft gut aufgestellt. Das Angebot an Schulformen ist vielfältig und wird angenommen.

Neben den weiterführenden Schulen rücken nun die Grundschulen in den Fokus. Dazu wurde vor Kurzem im Gemeinderat den Masterplan Grundschulen verabschiedet. Das begrüßen wir ausdrücklich.
Wir kritisieren, dass in der Mittelfristigen Finanzplanung bis 2026 keine Mittel für bauliche Maßnahmen an den Grundschulen zur Umsetzung des Masterplans enthalten sind. Auf diesen Kritikpunkt komme ich später noch zu sprechen.

Ein weiteres ehrgeiziges Projekt ist die Stadtbücherei.
Ein Herzensprojekt für viele Esslingerinnen und Esslinger. Es geht mit großen Schritten voran. Stehen zunächst noch die vertiefte Detailplanung sowie Beteiligungsformate an, so wird Anfang 2023 die Stadtbücherei in ihr Übergangsquartier, das Verwaltungsgebäude der SWE, umziehen. Wir hoffen, dass zum Stadtjubiläum 2027 die Stadtbücherei dann in ihr neues, ihr altes Domizil in der Webergasse und Heugasse einziehen kann.
Und wir hoffen, dass sich die historischen Überraschungen im Esslingen Untergrund in Grenzen halten.

Als drittes ehrgeiziges Projekt möchte ich die Esslinger Brückenlandschaft nennen.
Ein kostspieliges Dauerthema in Esslingen. Davon sind nicht nur die großen, sondern auch die vielen mittleren und kleinen Brücken betroffen.
Um das Ausloten von Alternativen, das Setzen von Prioritäten und einen effizienten Mitteleinsatz werden wir bei diesem Thema nicht herumkommen. Dafür ist es zu kostspielig.
Aufmerksam nahmen wir am Freitagabend bei der Amtseinführung von OB Klopfer die Aussage von Herrn Regierungspräsident Reimer z.K., der anerkennt, dass die enormen Kosten für große Brückensanierungen und Brückenneubauten kaum von den Kommunen alleine zu leisten sein wird. Hoffen wir, dass diesen Worten konkrete Taten folgen und bedarfsgerechte Förderprogramme aufgelegt werden.

Als viertes Projekt möchte ich das Klinikum Esslingen hervorheben.
Um das Klinikum Esslingen zu stärken, den Standort zu sichern, es wirtschaftlich betreiben zu können und die Attraktivität zu steigern – für Mitarbeitende ebenso wie für Patienten – wurde dieses Jahr der Masterplan Bau des Klinikums beschlossen. Umfangreiche bauliche Maßnahmen in 3 Bauabschnitte unterteilt, stehen an.

Damit wird der Klinikstandort in der Stadt Esslingen gesichert. Die hohe und wohnortnahe medizinische Versorgung der Esslinger Bürgerschaft wird gewährleistet. Der erste BA umfasst ein Volumen von 100 Mio. Euro.

4 Projekte, die ambitioniert sind, die eine hohe Bedeutung für unsere Stadt haben 
und die der Weiterentwicklung unserer Stadt dienen.
 Die aber auch sehr  kostenintensiv sind und Mittel langfristig binden.

Ich sprach zu Beginn meiner Rede davon, dass der Haushaltsplan ehrgeizig sei, in Teilen womöglich zu ehrgeizig, mit zu hochfliegenden Zielen, deren Realisierung noch nicht greifbar ist.

Der Haushalt ist extrem auf Kante genäht. Sowohl kurzfristig als auch in der mittelfristigen Finanzplanung bis 2026.

Wie kommen wir Freien Wähler zu dieser Einschätzung?

Die geplanten Einsparungen von 3 Mio. Euro für die Jahre 2022 und 23 können nur durch eine 6-monatige Wiederbesetzungssperre (bringt 2,4 Mio. Euro/Jahr) und eine Sachkostensperre in Höhe von 600.000 Euro pro Jahr erreicht werden. 
Diese Wiederbesetzungssperre wird an den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stadtverwaltung nicht spurlos vorüber gehen. Das wird man innerhalb der Verwaltung spüren. Es wird an manchen Stellen eine Herausforderung werden, das Aufgabenpensum weiter bewerkstelligen zu können. Das Setzen von Prioritäten wird erforderlich werden.
Für uns Freie Wähler stellt diese Wiederbesetzungssperre einen kurzfristigen Rettungsring dar; keinen Rettungsanker und auch keine Dauerlösung.
Der städtischer Haushalt kann sich damit für 1-2 Jahre über Wasser halten. Für 2024 muss die Aufgabenkritik Ergebnisse liefern. Sie muss konkrete Maßnahmen benennen, die ab 2024 finanzwirksam greifen. Die Konsolidierungsvorgabe für 2024 liegt bei 5 Mio. Euro, für 2025 bei 7 Mio. Euro und 2026 bei 9 Mio. Euro Einsparungen.

Die deutlichen Baukostensteigerungen sind noch nicht in allen Projekten eingeplant. Ob die üblicherweise angesetzten Prozentanteile für „Unvorhergesehenes“ diese drohenden Baukostensteigerungen auffangen können, bezweifeln wir. Die Baukostensteigerungen sind ein nicht zu unterschätzendes Risiko. Vor allem wenn man bedenkt, dass die SGE in den kommenden 5 Jahren mit einem Investitionsvolumen von 100 Mio. Euro rechnet.
Der Sanierungsstau der Straßen und Wege im Stadtgebiet ist hoch. Die jährlich dafür bereitgestellten Mittel lassen den Sanierungsstau weiter anwachsen. Das sind versteckte Schulden.
Für Unvorhergesehenes bietet der Haushalt in den kommenden Jahren keinerlei Spielraum. Die Cororna-Pandemie mit all ihren Verwerfungen ist noch nicht vorüber. Reduzierte Einnahmen und erhöhte Ausgaben werden uns womöglich weiter begleiten.
Zudem steigen wieder die Flüchtlingszahlen. Ebenfalls eine Handlungsfeld, dass im Haushalt nicht eingeplant wurde, nicht eingeplant werden konnte.
Der Haushalt enthält bereits eine Grundsteuererhöhung. Die Option einer weiteren Grundsteuererhöhung lehnen wir ab. Davor muss die Aufgabenkritik liefern. Wie im Gemeinderat beschlossen.
Ein letzter Punkt: Es werden zusätzliche Maßnahmen in den nächsten Jahren notwendig werden, die heute schon absehbar sind, die jedoch nicht in der Mittelfristigen Finanzplanung eingepreist sind.
Ein Beispiel: Die dringend erforderliche räumliche Erweiterung der Grundschule Pliensauvorstadt, die heute schon aus allen Nähten platzt. Hier besteht Handlungsbedarf, und zwar vor 2027.

Die Finanzierung all der Aufgaben und Projekte, die auf den über 600 Seiten des Haushaltes enthalten sind, ist extrem auf Kante genäht. Der Grat, auf dem sich dieser Haushalt bewegt, ist äußerst schmal und risikobehaftet.

Wie verlassen wir erfolgreich diesen schmalen, risikobehafteten Pfad?

Eine Blaupause dafür gibt es nicht. Doch „Gelingens-Bedingungen“.
Dies sind für uns Freie Wähler:

Prioritäten setzen! „Sowohl-als-auch“ können wir uns nicht mehr leisten. „Entweder-oder“ ist die Devise. Und manches wird zukünftig ganz anders ausgestaltet müssen.
Effizientes Handeln! Die geringen Ressourcen, die uns zur Verfügung stehen, müssen effizient eingesetzt werden. Wir werden uns immer wieder die Frage stellen müssen, wie erreichen wir mit dem Mitteleinsatz eine möglichst hohe Wirksamkeit?
Bei großen Themen sich nicht im Klein-Klein verlieren, sondern zuerst gemeinsam eine Idee und einen Plan – nennen Sie es Masterplan – entwickeln und daraus die Einzelmaßnahmen ableiten. (Beispiel 200 m Kiesstraße)

Den Prozess der Aufgabenkritik sehr fokussiert aufnehmen.

Wir brauchen keine weiteren „Schubladen- und Logo-Konzepte“, die ganz oben isoliert entwickelt werden. Ein Beispiel gefällig? „Gemeinsam unterwegs“ … ein Bündel von Einzelmaßnahmen die in ein Herzchen verpackt wurden. Das war alter Wein in neuen Schläuchen und nennt sich dann Mobilitätskonzept.
Für Aktionismus und PR-Maßnahmen ohne Substanz haben wir kein Geld.

Lassen Sie mich zum Schluss kommen und zu unseren Anträgen.

Die Freien Wähler stellen zum Haushaltsplan 2022/23 keinen Antrag.

Die Aufgaben, die von der Verwaltung erledigt werden müssen, sind bekannt.
Dazu liegen bereits jede Menge Anträge vor. (Themen Wohnen, Mobilität, Klimaschutz)
Wir Freien Wähler wollen die Verwaltung nicht mit arbeitsbeschaffenden Fragen oder Prüfaufträgen blockieren: Sondern jetzt gilt „ins Tun kommen“ und mit „aller Kraft voraus“ die anstehenden Aufgaben erledigen. 
Dies auch vor dem Hintergrund der Wiederbesetzungssperre.

Und für Zusätzliches fehlt schlichtweg das Geld. Wir sind halt doch nicht in Mainz.

Abschließend noch einen herzlichen Dank an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Stadtverwaltung und in den Eigenbetrieben. Danke für all Ihr Tun in diesen besonderen und herausfordernden Zeiten!

Die Freien Wähler wünschen allen gute und konstruktive Beratungen. Legen wir los, die Zeit läuft.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.